Ich glaube, ...
ich habe ein Flüstern gehört.
Bist Du es? Oder bin ich allein? Bleib bei mir. Gehe nicht fort. Ich fürchte mich vor der Einsamkeit in meinem Kopf.
Wie tief sind die Abgründe, über die wir stolpern? In die wir hineinblicken; in die wir fallen? Ich wurde hineingestoßen – von jemandem, der mit zu nahe stand.
Nun stecke ich fest.
In den Tiefen des Abgrunds werde ich mir selbst überlassen – bedrängt von den abartigsten Gedankenspielen. Ich blicke hinauf: die felsigen Wände flüchten gen Himmel. Sie sind steil und rutschig. Versuche ich sie zu erklimmen, werde ich sehr wahrscheinlich in den Tod stürzen.
Über mir schwindet das Licht.
Darf ich darauf hoffen, dass mich jemand hier unten entdeckt? Ich bin nur ein winziger Fleck am tiefsten Punkt meiner Existenz. Wer würde schon stehenbleiben und zu mir hinabschauen? Hineinleuchten müsste Derjenigen sogar. Ist ja selbst für mich kaum was zu erkennen an diesem lichtberaubten Ort.
Kann ich mich denn nicht selbst retten? Was für ein Schwächling ich doch bin! Und überhaupt braucht man eine ganz schön starke Taschenlampe, um bis nach hier unten leuchten zu können. Und verflucht gute Ohren.
Das wird wohl nichts.
Deshalb war wohl auch all mein Rufen nach Hilfe vergebens. Niemand ist hier, um mich zu hören. Nun locken mich die unterirdisches Gänge von dem weit aufgerissenen Maul des Abgrunds fort. Sie schlängeln sich in alle Himmelsrichtungen. Rauf und Runter - weiter in die Tiefe, aber auch an die Oberfläche. Sollte ich den Rachen verlassen – werde ich womöglich mit Haupt und Haar verdaut.
Schritt für Schritt verliere ich mich im Labyrinth meiner erdrückenden Gedankenwelt. Diese undurchdringliche Finsternis, diese endlosen Gänge, diese zahlreichen Gefängniszellen habe ich selbst erschaffen. Um mich zu schützen. Habe mich stattdessen selbst weggesperrt. Nicht jeder Schatten ist eine Bedrohung gewesen – vor meinem eigenen erschauere ich am meisten. Wusste gar nicht, wie tief ich bereits in der Scheiße stecke.
Höre ich da wieder ein Flüstern, oder ist es bloß der Wind? Bist Du es? Oder bin ich allein? Bleib bei mir. Bitte, bitte, gehe nicht fort.
Wie tief bin ich bereits in das verworrene Tunnelsystem vorgedrungen? Aus wie vielen verhängnisvollen Zellen meiner Psyche bin ich herausgebrochen? Manche dieser Zellen sind eng, andere leer und weit. Eine führt zur nächsten. Ich kenne den Weg nicht. Drehe ich mich etwa im Kreis? Ich höre Dein Flüstern nicht mehr. Kann Dir nicht hinausfolgen. Noch mehr als vor der Dunkelheit um mich und in mir fürchte ich mich vor der Einsamkeit in meinem Kopf.
Wenn ich allein bin – in dieser unerträglichen Stille – kommen mir die schlimmen Gedanken. Ich wünsche mir den Tod herbei. Dann kann ich endlich von hier verschwinden. Ein Glück; Todeszellen gibt es hier reichlich. Viele Seelen sind in diesen Tiefen bereits zugrunde gegangen. Bin ich bald eine davon.
Der Abgrund hat viele Augen. Hat verschiedene Stimmen. Hat Klauen. In dieser Dunkelheit sind sie kaum von einer helfenden Hand zu unterscheiden. Wie denn auch, ohne danach zu greifen? Worauf kann ich zählen – wenn ich mich nicht einmal auf mich selbst verlassen kann – auf wenn kann ich mich dann noch verlassen?
Ich dachte, Du seist mein Feind. Ich dachte, Du hättest mich zurückgelassen. Doch Du bist hier. Immer schon in meiner Nähe. Ich spüre die kalte Felswand unter meinen Fingerkuppen. Ich habe mich noch nicht vollkommen von der Realität getrennt. Will in die Wirklichkeit zurück.
Draußen ist Nacht geworden.
Deine Berührung erschreckt mich. Kann ich Dir folgen? Dir vertrauen? Hier unten sind wir auf uns allein gestellt, aber vielleicht finden wir einen Weg hinaus, wenn wir uns annähern und an einander festhalten.
Du bist es. Ich bin nicht allein. Du bist bei mir und wir gehen gemeinsam.